Ein blauer Rock und meine Wurzeln
Was ein blauer Rock und meine Wurzeln gemeinsam haben? Gerne nehme ich dich mit auf eine kleine Reise, die in Innenwelten, nach Oberösterreich und an den Nähtisch führt:
Wurzeln haben für mich zweierlei Bedeutung: Meine physischen Wurzeln, verbunden mit meiner Herkunftsfamilie und dem Land meiner Geburt. Dann bildlich gesprochen die Erde, die mich in meinem Aufwachsen genährt hat, also meine Adoptivfamilie und schließlich meine inneren Wurzeln, mein Verbundesein und Verankertsein in mir.
Lange Zeit kannte ich in meinem Leben ein früher eher undefiniertes Gefühl von Verlorensein, von innerer Leere, einem Gefühl als gäbe es mich – dann aber auch irgendwie nicht. Wurzellos, nirgends wirklich dazugehörend, so lässt sich dieses Gefühl zusammenfassen. Heute würde ich sagen, dass ich auf einer Ebene durchaus eine Zugehörigkeit hatte, diese aber oft nicht fühlen konnte, weil ein Anteil von mir – das innere Kind, das den Schmerz der Adoption in sich trug – die tiefe Realität der Trennung, des weggegeben werdens und nicht dazugehörens als Grundprägung hatte.
Wenn wir uns dem Schmerz öffnen, können wir auch das Schöne um so tiefer empfangen.
Und dieser inneren Realtität galt es mich zu stellen, auch wenn ich lange versuchte, den gefühlten inneren Makel über Leistung zu kompensieren. Diese Hinwendung zu den verdrängten Gefühlen war manchmal sehr schmerzlich – und doch hat mich diese Öffnung für die ganz frühen Gefühlen mich mir selbst näher gebracht. Mein inneres Kind, das Gefühl der Wertlosigkeit hat so in mir ein zu Hause finden können. Wie bei einer Zwiebel habe ich mich über die Jahre Schicht für Schicht mir selbst mehr genähert und mir dafür oft Hilfe geholt.
Zwei Länder, Österreich und Deutschland gehören zu mir. Österreich, mein Geburtsland und die Herkunft meiner leiblichen, als auch meiner Adoptiveltern und Deutschland, das Land in dem ich aufgewachsen bin. Zwei Länder, zwei Elternpaare – das hat früher dieses Gefühl nirgends wirklich dazu zu gehören verstärkt. Heute fühle ich mich bereichert durch die Vielfalt, beide Länder prägen mich und machen mich aus, genau wie beide Eltern und deren Ahnenlinien.
Der blaue Rock? Ja, wir nähern uns dem blauen Rock, denn er hängt mit meinen österreichischen Wurzeln zusammen. Im Leben verläuft alles in Wellen oder Zyklen und so habe ich mich auch in Wellen mit meiner Adoption auseinandergesetzt. Die vergangenen vier Jahre haben mich mal bewusst, mal unbewusst intensiv mit meinem Urthema konfrontiert und beschenkt.
Die emotionale Heimat in mir und das Gefühl der Zugehörigkeit zur Landschaft Oberösterreichs.
Das Thema Wurzeln wurde immer präsenter: durch meine physische Nähe zu Österreich, seit wir 2016 an den Ammersee in Bayern gezogen sind; im Januar 2022 durch die Teilnahme an einem Dokumentarfilm über Menschen, die adoptiert sind; durch die erneute Kontaktaufnahme mit meiner leiblichen Mutter und durch unseren Wurzeln & Flügel Onlinekongress zum Thema früher Trennungserfahrungen und Bindungstraumata.
Im Mai 2022 bin ich dann das erste Mal seit langem wieder nach Oberösterreich gefahren, in das Land von Hügeln, Granit und wunderbaren Bächen und Wäldern. Fast alle meine Ferien habe ich als Kind dort verbracht, was mich sehr geprägt und geerdet hat. Lange Jahre hatte ich kein Heimatgefühl und tatsächlich halte ich es auch so, dass die größte Heimat diejenige in uns selbst ist. Und doch empfinde ich heute etwas Heimatliches, ein Ankommen, ein Dazugehören, wenn ich in Oberösterreich bin. Das ist ein ganz schönes und wärmendes Gefühl und es freut mich so sehr, dass ich heute Ja sagen kann zu meinen Wurzeln. (Meinen Blogbeitrag über das Wurzelchakra, Selbstwert und Granit findest du hier.)
Wie der blaue Stoff zu mir fand: »Sie brauchen ein Muster, das spricht.«
Der blaue Rock? Die Idee dafür entstand in eben jenem Mai bei einem Besuch in einer Blaudruckerei, die ganz typische Stoffe für diese Region druckt und deren Muster ich von früh auf kenne. Damals wusste ich, dass ich mir aus diesem handbedruckten Leinenstoff etwas nähen will – als Zeichen für meine Wurzeln, als Erinnerung daran, wo ich herkomme. Allerdings wusste ich damals noch nicht, welches Muster das richtige ist und wartete noch mit dem Stoffkauf.
Als ich im November 2023 nach Aigen im Waldviertel fuhr, um mir den Hof für mein Wurzelchakra-Retreat im Oktober diesen Jahres anzuschauen, fuhr ich über Freistadt. Diesen kleinen und wunderhübschen mittelalterlichen Ort kenne ich von früher sehr gut. Und als ich über den Bauernmarkt lief, fiel mein Blick auf das Schaufenster eines Trachtenladens.
Eigentlich sind Dirndl und Tracht nicht so meines, aber diese Dirndl fielen mir auf, denn sie waren aus wunderschönen Blaudruck-Stoffen genäht. »Ich werde kein Dirndl kaufen, aber ich würde so gerne eines anprobieren, darf ich?« Mit diesen Worten betrat ich den Laden und bekam ein herzliches »Ja sicher« zur Antwort. Wir kamen ins Gespräch, ich erzählte von der Blaudruckerei, die ich besucht hatte und es stellte sich heraus, dass die Trachtenschneiderin von genau dieser Druckerei ihre Stoffe bezieht. Die Schneiderin ging in den hinteren Teil des Ladens und kam mit einer Stoffrolle zurück. »Das ist übrigens ihr Muster«, sagte sie und zeigte mir den Blaudruck mit den Kornblumen.
Wenn das Muster eines Stoffes zum Spiegel innerer Qualitäten wird
»Als sie in den Laden kamen, haben sie gleich nach dem Dirndl mit dem Ährendruck gegriffen, das tun Frauen, die geerdet sind, oft auch Bäuerinnen, die viel mit der Erde zu tun haben. Das passt schon gut zu Ihnen, aber die Kornblume passt noch besser – sie brauchen ein Muster, das spricht.« Das hat mich berührt. Hatte ich bis zu diesem Tag doch immer noch keine Klarheit darüber, welches Muster ich für mich würde haben wollen. Ich hatte zwischen Vergissmeinnicht, Kornblume und einem weiteren Muster geschwankt.
Mein Muster hat zu mir gefunden und ich habe mich finden lassen. Während ich das schreibe, berührt es mich noch immer. Dieses Gefühl erkannt und gesehen zu werden und sagen zu könne, ja, das bin ich! So bin ich dankbar für diese sehr feinfühlende und weise Schneiderin, die ein Gefühl für die Farben und Muster hat, die zu bestimmten Menschen gehören.
Und nun war auch klar, dass es ein Rock werden würde. Wie genau ich den nähen kann und dass man den Rock oben am besten mit Hilfe eines sogenannten »Hanselbandes« per Hand kräuselt oder stiftelt – all das habe ich an diesem Tag gelernt. Und über Weihnachten habe ich mich dann hingesetzt und diesen Rock, meinen Wurzelrock, genäht. Ein blauer Rock und meine Wurzeln: Wenn ich diesen Rock trage, dann ist er für mich Bild für meinen Lebensweg, für die tiefen Täler, für meinen Mut, mich auch den dunklen Ecken meines Seins zu öffnen, genauso wie die strahlenden Berggipfel, für meine Liebe für mich selbst, für die wunderbaren Momente und Menschen in meinem Leben.
Ein paar Bildeindrücke bekommst du unten in dem Video – und dort findest du auch eine Frage, der du für dich nachgehen kannst, auf dem Weg nach Hause zu dir.