10.7.2020

Buchempfehlung »Mein Körper, mein Trauma, mein Ich« von Franz Ruppert

»Mein Körper, mein Trauma, mein Ich« setzt sich mit den unterschiedlichen Formen von Traumen auseinander und dem engen Verwobensein von Psyche und Körper.

Franz Ruppert hat die Identitätsorientierte Psychotraumatheorie und -therapie (abgekürzt IoPT) entwickelt, die von Anliegen und Themen im Heute ausgeht. Durch das Aufstellen von Anliegen, wie z.B. »Warum kann ich nie ganz entspannen?« oder »Was sagt mir mein Tinnitus?« wird dem Aufstellenden ein Teil seiner inneren Welt gespiegelt, der in Verbindung mit dem jeweiligen Anliegen steht. Dies schafft auf oft magische Weise dieMöglichkeit, sich Situationen der Vergangenheit zu stellen und Anteile von sich zu finden, deren bisher unentdecktes Sein vielleicht Ursache für bestimmte Symptome in unserem Leben ist.

Theoretische Grundlagen und Beispiele aus der therapeutischen Praxis ergänzen sich

Dieses Buch ist eine großartige Mischung von theoretischen Grundlagen in Bezug auf das Verständnis der verschiedensten Traumen sowie deren psychischen und physischen Auswirkung auf den Menschen und ausgewählten Praxisbeispielen, die den Prozess der IoPT lebendig werden lassen. Um die Auswirkungen von Traumen besser verstehen zu können, definiert Ruppert auch Grundbegriffe wie etwa Identität, Selbstliebe versus Egoismus und die menschliche Psyche an sich.

Trauma ist all das, was emotional nicht zu verarbeiten ist oder war

Eine Grundannahme dieses Buches ist es, dass die meisten von uns die eine oder andere Form der Traumatisierung in sich tragen. Das mag vielleicht erst einmal abschreckend klingen, weil der Begriff Trauma meistens auf Kriegserfahrungen, sowie schlimmste sexuelle und physische Gewalt bezogen wird. Aber Ruppert fasst den Begriff des Traumas weiter, bezieht ihn auf all das, was wir emotional nicht verkraften können oder konnten.

Es ist wichtig die Tragweite einer Traumatisierung langsam anerkennen zu können – in ihrer ganzen emotionalen Tiefe, aber auch in einer gewissen nüchternen Realitätsverankerung und dem Wissen um unsere Gutheit und unsere Selbstheilungskräfte.

Schon Erfahrungen im Mutterbauch und rund um die Geburt können sich traumatisierend auf uns auswirken. Das war vor nicht allzu langer Zeit noch undenkbar. Die gängige Meinung war, dass Embryos und Babys sich nicht erinnern könnten, weil sie in ihrer kognitiven Entwicklung noch nicht weit genug seien und dann könne das ja nicht schlimm sein. Die heutige Forschung sieht dies anders. Unser Körper und unsere Psyche speichern auch früheste Traumatisierungen, die sich auf unser weiteres Leben auswirken. Es ist wichtig, sich darüber bewusst zu sein, dass jederMensch auf potentiell traumatisierende Ereignisse unterschiedlich reagiert. Für den einen resultiert aus einem Ereignis ein Trauma, für einen anderen nicht. Deshalb ist es schwer, Traumen alleine an äußeren Geschehnissen festzumachen.

Unser Körper wird zum Sprachrohr für Verdrängtes in uns

Ein Trauma und das damit verbundene Verdrängen oder Abspalten der nicht zu verarbeitenden Gefühle führt zu einem fortdauernden Zustand von unbewusstem Stress. Dieser unterschwellige, permanente Stresspegel kann dazu führen, dass unser Körper für das Verdrängte zu sprechen beginnt und wir erkranken. Die körperlichen Symptome können in diesem Rahmen also als Einladung gesehen werden, ganzheitlich zu schauen: »Was könnte bei mir aus dem Lot sein? Was in mir möchte ans Licht oder braucht meine Aufmerksamkeit?«. Auf diese Weise kann unser Körper dabei helfen, wieder Zugang zu abgespaltenen Aspekten in uns zu finden.

Einzelne Kapitel befassen sich mit Körperteilen und Organen sowie möglichen Symptomen. Praktische Beispiele aus dem therapeutischen Alltag verschiedenster Therapeuten, die mit der IoPT arbeiten, vermitteln hier ein lebendiges Bild der Arbeit. Ergänzend finden sich gute Informationen zu Funktionsweisen und Bedeutung der unterschiedlichen Körperbereiche. Diese Kapitel können sehr hilfreich sein, wenn man selber an bestimmten Symptomen leidet und neugierig ist, eine Idee davon zu bekommen, was eventuell für Erfahrungen aus der Vergangenheit dahinter stehen können.

»Krankheiten« als Möglichkeit, abgespaltene Erfahrungen integrieren zu können

Mein Körper, mein Trauma, mein Ich  ist einspannendes und sehr fundiertes Buch. Es erweitert das Verständnis in Bezug auf Traumatisierungen und wie diese sich auf unseren Körper auswirken können. Es gibt heutzutage viele Menschen mit körperlichen Symptomen, für die sich keine physische Erklärung finden lässt. Damit erweitert sich der Bereich der psychosomatischen Erkrankungen. Um so wichtiger ist ein Buch wie dieses, das sich dem Menschen ganzheitlich nähert und die Auswirkungen von unterschiedlichen Traumen auf unsere Psyche und unseren Körper erforscht und Wege aufzeigt, wie abgespaltene Erfahrungen integriert werden können. Dies kann helfen, dass der Körper nicht länger das ausagieren muss, was man vielleicht Jahre lang nicht sehen konnte.