29.6.2022

Du bist genug – Warum es herausfordernd sein kann, das wirklich zu fühlen

Was, wenn wir alle genug sind, genau so wie wir jetzt gerade sind? Was, wenn wir gut genug und liebenswert sind, einfach weil wir sind? In unserer Gesellschaft wird unser Wert oft gemessen an dem, was wir tun oder wie wir uns verhalten. Unsere „guten Eigenschaften“, unsere Leistungen, unsere Selbstlosigkeit, unsere Erfolge sind es, über die wir Anerkennung bekommen. Meistens fängt das bereits in derFamilie an, und sehr schnell lernen wir dann selber unseren Wert darüber zu definieren. Unsere gesellschaftliche Konditionierung tut dann ihr Übriges, um dieseVerknüpfung von Tun, Leistung und sogenannten positiven Eigenschaften mit unserem innewohnenden Wert zu zementieren.

Genug sein ist Mangelware in unserer Gesellschaft

Brené Browns Zitat trifft diesen Zustand aus meiner Warte sehr gut: „Wir leben in einer Kulturdes nie genug: nie gut genug, nie dünn genüg, nie beliebt genug …“. Eine andere Variante davon ist „xy ist besser als wir, hat mehr als wir, ist schöner als wir, ist glücklicher als wir Genug sein ist Mangelware in unserer Gesellschaft. Und damit meine ich ein gefühltes Genugsein, eine innere Gewissheit, dass wir mit all unseren Fehlern, Macken undGaben genug sind. Selbst wenn wir denken mögen, „natürlich bin ich genug, ich kann doch so viel, leiste so viel …“ dürfen wir genau hinspüren, ob wir uns auch tief in uns genug oder gut genug fühlen. Es kann nämlich gut sein, dass unsere Leistungen, unsere guten Noten, unser vorbildliches Verhalten und unsere großzügige Nächstenliebe irgendwo tief in uns aus einem Gefühl des Nicht-Genug-Seins kommt. Dass wir nämlich all diese Dinge brauchen damit wir uns gut und genug fühlen können. Natürlich ist das niemals schwarz-weiß, trifft das meistens nicht auf alle Lebensbereiche zu, aber was, was wenn tief in uns diese Gefühl schlummerte, dass wir nicht genug sind?

Was, wenn wir nicht perfekt, oder besonders gut sein müssten, um genug zu sein?

Dieses „Ich-bin-nicht-genug“ lässt sich beschreiben wie ein Art Ur- oder Grundgefühl das oft nicht klardefiniert ist und häufig nicht an unser Bewusstsein dringt. Vielleicht lässt es sich beschreiben als eine Art inneres Loch, als ein Mangelgefühl, verwandt mitGefühlen von Scham, Unwohlsein  oder innerer Leere. Ein Gefühl von „so wie ich bin, bin ich offensichtlich nicht gut genug“. Das denken wir uns nicht wörtlich, es ist eher wie ein Grundton imHintergrund, der Mal mehr und Mal weniger mitschwingt. Manchmal versteckt sich dieses Gefühl oder dieser Glaubenssatz auch unter bestimmten Verhaltensweisen:man glaubt besonders viel leisten zu müssen; immer auf die Bedürfnisse anderer achten zu müssen, damit sie einen mögen; perfekt sein zu müssen, um ein Lob oderAnerkennung annehmen zu dürfen.

Was, wenn wir diesen Glaubenssatz, dieses Gefühl des „Nicht-genug“ans Licht holten? Was wenn wir die Trauer und den Schmerz fühlten für all dieMomente, in denen wir uns nicht genug fühlten, aus Mangel kamen, uns aus diesemGrund etwas nicht getraut haben oder schöne Dinge nicht wirklich haben annehmen können, weil darunter der Zweifel nagte, ob wir denn nun wirklich genug seien?

Das Gefühl des Genugseins anprobieren, wie ein neues Kleidungsstück.

Wir sind genug, du bist genug, immer, zu jeder Zeit, einfach weil du bist. Dieser Satz lässt sich ganz gut ausprobieren wenn man sich selber fragt „Was, wenn ich gut genug wäre, genauso, wie ich bin?“ Dieser Satz eröffnet einen Raum, macht Platz, ohne dass wir uns damit eine neue Wahrheit überstülpen. Auf diese Weise können wir denSatz einfach Mal anprobieren, so wie ein Kleidungsstück und schauen, wie wir uns damit fühlen könnten.

Der Weg zu unserem innewohnenden Genugsein führt über zwei Pole: die Entscheidung für das Genugsein und das Fühlen und Integrieren der Ursprungsprägung, des darunterliegenden Schmerzes.  

Um mehr und mehr in unserem innewohnenden Genugsein anzukommen, können wir zum einen das Genugsein anprobieren, als eine Frage, als eine Möglichkeit. Wir können uns auch bewusst öffnen dafür genug zu sein, können entscheiden, dass wir genug sind. Das ist ein Pol des Ankommens in sich. Der andere Pol ist die Hinwendung zur Ursache für das Vorhandensein des Glaubenssatzes nicht genug zu sein, desGefühls, wir seien nicht genug. Es gibt viele Gründe dafür, warum wir uns nicht zutiefst wertvoll fühlen. Manche der Ursachen können bis in die Zeit rund um unsere Geburt und unsere frühe Kindheit reichen. Da unser System oft hart daran gearbeitet hat, das Gefühl, den Schmerz des nicht genug Seins zu unterdrücken oder zu vermeiden, kann es manchmal herausfordernd sein, sich dafür wieder zu öffnen. Aber genau das erlöst uns, genau das macht uns frei unser Genugsein zu fühlen.

Wenn wir denGlaubenssatz nicht genug zu sein erst einmal in uns tragen, so werden wir imLeben immer wieder Erfahrungen machen, die wir dahingehend deuten, dass wir uns bestätigt sehen in dieser inneren Überzeugung. Weil unser Überlebensmechanismus darauf ausgerichtet ist, den Fokus auf negative oder fehlerhafte Dinge zurichten, um sie zu beheben, ist es hilfreich, manchmal bewusst den Fokus aufdas zu legen, wo wir uns gut genug fühlen. Statt die Nadel im Steckhaufen zu suchen, die uns zeigt, dass wir etwas doch nicht ganz perfekt gemacht haben, können wir all die kleinen Momente sammeln, auf die wir stolz sind, über die wir uns freuen.

Auf der Suche nach dem Schatz deines Genugseins – wie ein stabiles Nervensystem uns dabei hilft

Wie schon weiter oben gesagt, ist ein erster Schritt hin zu einem selbstbewussteren und in sich ruhenden Genugsein das Auffinden der dunklen Ecken in uns, wo wir uns nicht genug fühlen. Ein wunderbarer Weg, sich dem zuzuwenden und gleichzeitig seinNervensystem zu beruhigen, ist EFT, die Emotional Freedom Technique. Wenn du neugierig darauf bist, liebevoll die Untiefen deines nich Genugseins und denSchatz deines Genugseins zu erforschen, dann lade ich dich ein, die Klopfübung „Du bist genug“ für dich zu machen. Gerade weil es sich nicht unbedingt angenehm anfühlt, wenn wir uns das nicht Genugsein genauer anschauen, ist es umso hilfreicher, uns währenddessen zu stabilisieren, so dass wir dann wirklich präsent sein können mit den Gefühlen, die sich uns zeigen und schlussendlich nur eines wollen: gesehen, gewertschätzt und gefühlt zu werden.

Der Satz "Du bist genug" mag einfach genug klingen, aber tatsächlich ist es manchmal gar nicht so einfach wirklich das Gefühl zu haben, genug oder gut genug zu sein. Wenn wir versuchen, auf ein bewusstes oder unbewusstes Gefühl von nicht Genugsein einen Glaubenssatz quasi darüber zu stülpen, dass wir genug seien, dann funktioniert das nicht immer. Wenn wir aber Raum geben für die innere Realität bestimmter Anteile von uns, die sich nicht genug fühlen, wir sie ehren, den Schmerz fühlen, den das vielleicht verursacht hat und uns dann für das Gefühl des Genugseins öffnen, dann hält das in meiner Erfahrung weitaus länger an. EFT ist da eine wunderbare Methode, denn es darf sein, was da ist, die innere Realität wird geehrt und dann, dann können wir uns auch aufmachen für Neues.

Lass dich überraschen von dir, lass dich ein auf dich, komme mehr und mehr an in dir, so wie du jetzt gerade bist. Je mehr wir ruhen in dem was wir sind, um so mehr Raum haben wir dafür, dass unser Potential sich entwickeln kann. Nicht, um besser zu werden, sich zu optimieren, nicht mit dem Ziel, dann endlich gut genug zu sein, sondern vom Platz des Genugseins aus unsere Flügel auszubreiten. Jedes Stadium unseres Seins gehört zu uns, genau wie die vielleicht nicht sonderlich ansehnliche Raupe („nicht schön genug“) zum Schmetterling gehört.